Lehrstück in Klassenjustiz
Darunter auch Kollegen aus Hamburg, Wörth und Kassel. Dazu zahlreiche Solidaritätserklärungen aus aller Welt. In vielen wurde hervorgehoben, dass der mutige Kampf der 1000 Nachtschichtkollegen im Dezember 2014 gegen Fremdvergabe, Leiharbeit, Werkverträge und grenzenlose Samstagsarbeit ein Kampf für alle Arbeiterinnen und Arbeiter ist. Und erst Recht jetzt der Kampf für ein Streikrecht!
Wer meinte, im Gerichtsaal werde Recht gesprochen, sah sich bald bitter enttäuscht. Die junge vorsitzende Richterin – außer Schule und Studium hat sie wohl noch nicht so viel erlebt – ließ von Anfang an keinen Zweifel aufkommen, auf wessen Seite sie steht: Sie lehne es ab darüber zu entscheiden, ob das „zugegebenermaßen sehr restriktive deutsche Streikrecht“ im Gegensatz zu Artikel 6 Absatz 4 der Europäischen Sozialcharta und den Menschenrechten stehe. (Darin wird ein umfangreiches Streikrecht zugestanden, dem Gedanken folgend, dass der Arbeiter allein nichts – und nur durch seine Zahl eine Macht ist.) Die Richterin: Ihr fehle bei den Streikenden eine „kollektive Verhandlungsführung“ – so sei das nur ein „undefinierbare Masse“ gewesen. Welch ein Hohn! Die Werkleitung hatte bei allen bisherigen Protestaktionen und Versammlungen stets betont, dass die Fremdvergabe „ihre freie Unternehmerische Entscheidung“ ist. Sie hätte ja zu den Streikenden gehen können und Verhandlungsbereitschaft zeigen. Das hat sie aber nicht getan, wie die Anwälte der Kollegen ausführten. Es wurde auch ausgeführt dass der Streik auf kollektiv gefassten Beschluss der Vertrauensleute zustande kam. Ergänzen könnte man noch dass er in eine richtige Streikbewegung aller Schichten eingebettet war und der Sinn einer Gewerkschaft als Kampforganisation verwirklicht wurde.
Eindrucksvoll ergriff Rechtsanwältin Heinecke das Wort: Daimler und die Richterin wollen alles beim alten lassen. Das wollen die Kläger aber nicht. Es geht um die Anwendung der Sozialcharta und der Menschenrechte. Haben sie diese auf ihrer Seite gehabt oder nicht? Die Richterin drückt sich um diese Frage. Wenn man das untersuche, beträte man Neuland. Es gibt immer einen ersten Schritt. Die Kollegen haben in dieser Nacht (Streiknacht) ihre Grundrechte wahrgenommen. Die Gewerkschaft hat nichts gegen die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze unternommen. Müssen sie sich alles gefallen lassen?
Die Anwälte von Daimler führten in aller Offenheit aus, dass die Freiheit des Menschen am Werktor endet. Es sei ein wilder Streik und dies politische Betätigung welche im Betrieb verboten sei, „das können Sie draußen tun“. Im Übrigen haben die Beschäftigten ja ihre Vertreter im Aufsichtsrat und einen Gesamtbetriebsrat (Zwischenruf: „alle gekauft!“) „Sie wollen individuell agitieren können, politisch aufrufen zu Kundgebungen, ohne jegliche Spielregeln politische Betätigung im Betrieb, wofür es keinen rechtlichen Rahmen gibt – das können sie außerhalb der Arbeitszeit aber nicht innerhalb“ (Dr. Berg).
Spätestens jetzt wurde auch dem letzten Zuhörer klar, wer im Kapitalismus die „Spielregeln“ diktiert. Die Vernichtung von Arbeitsplätzen, die ständige Erhöhung des Arbeitstempos – das sind unternehmerische Entscheidungen – völlig unpolitisch („dadurch werden ihre Arbeitsplätze sicherer“) - so der Justiziar von Daimler. Wenn sich die Kollegen zur Wehr setzen, dann ist das Politik und verboten.
Als nach einer halben Stunde Pause die Richterin dann das Urteil verkündete: Die Klagen werden zurückgewiesen – die Kosten tragen die Kläger – Streitwert 63 000 € - gab es laute Pfuirufe, „Klassenjustiz“, „Schandurteil“...
Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde über den Prozess diskutiert und beraten wie es weiter geht. In allen Beiträgen wurde hervorgehoben, dass der Kampf damit nicht zu Ende ist und sowohl gerichtlich bis in die letzte Instanz gegangen als auch durch Aktivitäten im Betrieb der Kampf weiter geführt wird. Im Betrieb wurden an einem Tag fast 3000 € für den Kampf gesammelt. Der Kampf ums Streikrecht geht alle etwas an – in allen Betrieben. Zur Sprache kam auch die skandalöse Weigerung der IG Metall, diesen wichtigen Kampf zu unterstützen. Insbesondere der erste Bevollmächtigte der IGM Bremen, Volker Stahmann, nahm auf dem Gewerkschaftstag gegen die Kollegen Stellung: „Aber auch politisch haben wir.....mit dieser Klage ein Problem. Denn im Gegensatz zu unserem Antrag 2.076 fordert die Klage ein Streikrecht, ein erweitertes Streikrecht ohne Aufruf von Gewerkschaften“ (auf dem 23.IGM-Gewerkschaftstag 2015). Bereits kurz nach dem Streik hatte er begründet warum er ihn nicht unterstütze: „ich bin kein Freund französischer Verhältnisse“. Und „es gibt keine arbeitsrechtliche Grundlage, die Einführung von Leiharbeit durch Arbeitskampf zu verhindern.“
Auch zum Prozess war kein offizieller IGM-Vertreter erschienen. Umso mehr muss daher der Kampf innerhalb der Gewerkschaft darum geführt werden, dass sie zu einer wirklichen Kampforganisation wird. Weichgespülte Co-Manager wie Volker Stahmann sollten sich überlegen, ob sie denn in der richtigen Organisation sind.
Nun steht die nächste Instanz an, das Landesarbeitsgericht Bremen. Wir von der Gruppe Bremen der Internationalen Automobilarbeiterkoordination werden alles daran setzen die notwendige massenhafte Bewegung zu entwickeln die wir brauchen um ein allseitiges, vollständiges und gesetzliches Streikrecht durchzusetzen. Wir rufen alle Trägergruppen und sich mit dem Kampf solidarisierende Kolleginnen und Kollegen auf diesen Kampf mit zu organisieren, ihn bekannt zu machen und weitere Kräfte dafür zu gewinnen. Zur Finanzierung der Prozesskosten aller Instanzen gilt es auch weiter Spenden zu sammeln.
(Anja Luers, Berliner Volksbank, IBAN DE67 1009 0000 5650 0040 02, Stichwort "Streikrecht")
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